Umstrittene Entscheidung

Die Entscheidung für oder gegen bestimmte Impfungen war selten mit derartig heftigen Emotionen besetzt wie in diesem Frühling. Über 1000 Menschen sind alleine in Berlin bereits im Zuge der aktuellen Masern-Welle erkrankt. Am 18. Februar starb in Berlin ein Kleinkind an den Folgen einer Maserninfektion. Die Bundeshauptstadt erlebt die größte Masernepidemie seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes im Jahre 2001. Diese Tatsache lässt vielerorts den Ruf nach einer allgemeinen Impfpflicht laut werden. Laut Ärztezeitung droht Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit einem möglichen Impfzwang. Andererseits beharren Eltern nach wie vor auf ihrem Recht, individuell zu entscheiden, ob und in welchem Ausmaß ihr Kind geimpft wird.

Im Folgenden beantwortet das Bundesgesundheitsministerium sowie die erste Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), Cornelia Bajic, Lehrbeauftragte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, jeweils die gleichen brisanten Fragen.

Vorschriften contra Selbstbestimmung?

„Wer nicht impfen lässt, gefährdet unser aller Gesundheit“, betont Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD, im Zusammenhang mit dem Masernausbruch in Berlin und der möglichen Rechtfertigung einer staatlich verordneten Impfpflicht. Würden Sie dieser Meinungsäußerung des Bundesjustizministers zustimmen?

Ministerium: Das Bundesministerium für Gesundheit rät allen Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere Erwachsenen, die nach 1970 geboren sind, dringend dazu, den eigenen Impfstatus überprüfen zu lassen und die fehlende Impfungen nachzuholen. Die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen sind sicher und werden von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Die Impfstoffforschung wurde in den letzten 20 Jahren enorm weiterentwickelt. Impfstoffe gehören zu den Arzneimitteln, die in Deutschland am besten getestet sind; sie sind sehr sicher und nebenwirkungsarm. Der heftige Masernausbruch in Berlin zeigt, wie wichtig ein guter Impfschutz ist. Eltern und Erziehungsberechtigte, die ihrem Kind den Impfschutz verweigern, gefährden aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums nicht nur das eigene Kind, sondern auch andere Menschen. Leider zeigt uns der Tod eines kleinen Jungen in Berlin, dass Masern auch tödlich sein können.

Cornelia Bajic: Ich stehe auf einem anderen Standpunkt als der Bundesjustizminister: Dem hohen Wert der Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit ist jede öffentliche Empfehlung untergeordnet. Wir als deutscher Zentralverband homöopathischer Ärzte lehnen die zunehmende Interpretation der STIKO-Empfehlungen als „Impfvorschrift“ im Sinne eines Pflichtprogramms ab. Eine Impfempfehlung kann daher nur Leitlinie sein, die gemäß der individuellen Besonderheiten dem Einzelfall angepasst werden muss. Dabei müssen Konstitution, Vorerkrankungen, bestehende Krankheiten, aber auch persönliche Einstellungen berücksichtigt werden.

Impfpflicht – Individuelle Impfentscheidung – Totaler Impfverzicht: Wo liegen Ihre Präferenzen und warum?

Ministerium: Das Gebot der Stunde heißt: Gute Beratung und fachlich kompetente Aufklärung! Mit dem Präventionsgesetz, das dieses Jahr in Kraft treten soll, wollen wir die Impfbereitschaft der Bevölkerung erhöhen und die Impfquoten verbessern. Künftig wird gesetzlich geregelt, dass bei der Aufnahme in eine Kita ein Nachweis über eine erfolgte ärztliche Impfberatung vorgelegt werden muss. Außerdem wird geregelt, dass bei Gesundheitsuntersuchungen von Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen künftig der Impfstatus überprüft werden und bei Bedarf eine Impfberatung stattfinden muss. Aber auch die Einführung einer Impfpflicht ist für das Bundesgesundheitsministerium kein Tabu.

Cornelia Bajic: Die Entscheidung, zu impfen oder nicht zu impfen, ist von überragender Tragweite für die weitere gesundheitliche Entwicklung des Kindes. Dies stellt besondere Anforderungen an Qualität und Umfang der Aufklärung durch den Arzt. Dieses Aufklärungsgespräch muss sachlich, wertneutral und ergebnisoffen geführt werden auf der Grundlage möglichst objektiver Informationen. Eine nach sorgfältiger Impfaufklärung verantwortlich getroffene Entscheidung für oder gegen bestimmte Impfungen ist unbedingt zu akzeptieren – eine soziale Ächtung oder gar Strafandrohung von Patienten, Eltern oder Ärzten, die in ihrer Entscheidung von offiziellen Empfehlungen abweichen, weise ich scharf zurück.

Die Impfbefürworter werfen den Impfgegnern Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gesellschaft und dem einzelnen Individuum vor – Befürworter einer individuellen Impfentscheidung antworten mit dem Vorwurf der Entmündigung und mangelhafter Aufklärung über Impf-Risiken. Wie sollen Eltern als medizinische Laien sich angesichts dieses Schlagabtauschs zurechtfinden und eine verantwortbare Entscheidung für oder gegen ihren eigenen Impfschutz oder den ihres Kindes treffen?

Ministerium: Eltern und Erziehungsberechtigte sollten sich ärztlich beraten lassen. Wie bereits erläutert, werden wir die Impfberatungen verstärken. Wir wollen damit auch Familien erreichen, in denen fehlender Impfschutz eher mit Nachlässigkeit zu erklären ist. Ein breites Informationsangebot bietet auch die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Viele Impfgegner betreiben verantwortungslose Angstmacherei und verbreiten wissenschaftlich nicht belegbare Behauptungen. Antworten zu den 20 häufigsten Einwänden gegen das Impfen stellen das Robert Koch-Instituts und das Paul-Ehrlich-Instituts auf ihren Internetseiten zur Verfügung.

Cornelia Bajic: Eltern sitzen im Grunde zwischen allen Stühlen und das ist nicht gut. Die Diskussion um Impfungen wird emotional, nicht sachlich geführt, das muss sich ändern. Deshalb rate ich Eltern, sich selber aus allen Quelle zu informieren, und sich  eine Meinung zu bilden. Deshalb plädiere ich auch nochmals für die ergebnisoffene und sachliche geführte Impfberatung, die vor der ersten Impfung stattfinden muss – eine solche Beratung ließe sich als fester Bestandteil einer Vorsorgeuntersuchung installieren.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Handeln Sie in Bezug auf Ihre eigene Person und in Ihrer Familie nach den von Ihnen genannten Empfehlungen? Konkret gefragt: Wie umfangreich ist Ihr eigener Impfschutz? Und: Würden Sie Ihr Kind (nicht) impfen lassen

Ministerium: Wir verweisen auf die Presseerklärung von Bundesminister Hermann Gröhe vom 23. Februar 2015: Der Masernausbruch in Berlin zeigt, wie wichtig ein guter Impfschutz ist. Ich rate dringend dazu, den eigenen Impfstatus überprüfen zu lassen und die empfohlenen Impfungen nachzuholen. Die empfohlenen Impfungen sind sicher und werden von der Krankenkasse bezahlt. Die irrationale Angstmacherei mancher Impfgegner ist verantwortungslos. Wer seinem Kind den Impfschutz verweigert, gefährdet nicht nur das eigene Kind, sondern auch andere – das kann bis zum Tod führen. Die Impflücken sind in Deutschland noch immer zu groß. Wir brauchen jetzt einen Kraftakt, um die Impfbereitschaft zu steigern. Deshalb werden wir mit dem Präventionsgesetz gesetzlich festschreiben, dass bei der Aufnahme in die Kita ein Nachweis über eine ärztliche Impfberatung vorgelegt werden muss. Außerdem muss bei Gesundheitsuntersuchungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen künftig der Impfstatus überprüft werden und eine Impfberatung erfolgen. Wir müssen die Eltern davon überzeugen, wie gefährlich diese Krankheit ist. Wenn all diese Maßnahmen nicht helfen, kann eine Impfpflicht kein Tabu sein.“

Cornelia Bajic: Ich bin als Kind nach den üblichen Standards geimpft worden. Heute frische ich diese nach Bedarf auf, zum Beispiel auch bei Reisen ins Ausland. Meine Kinder habe ich nach sorgfältiger Abwägung mit den mir sinnvoll erscheinenden Impfungen versehen, nicht jedoch mit allen, die heutzutage empfohlen werden. Das ist sozusagen gelebte individuelle Impfentscheidung.

Quelle: Zeitschrift Natürlich Gesund, Ausgabe April 2015